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BEruf oder berufung

Zwischen Krebsforschung und humanitären Einsätzen

Prof. Dr. Thiha Aung lebt für seinen Beruf. Er reist als Chirurg um die Welt, lehrt an der THD und forscht zu Krebserkrankungen. Aung ist ein Mann, dessen Tag zu wenig Stunden hat, der auch mal im Labor schläft und der in der ganzen Welt zuhause ist. Ein Einblick in die fabelhafte Welt des Thiha Aung.

Die schnellen Schritte auf dem Gang verraten ihn, bevor er den Kopf durch die Tür steckt. Dr. Thiha Aung trägt eine runde Brille, die Krawatte ist lose gebunden. Die Zeit ist knapp, er hat einen Anschlusstermin. Trotzdem wirkt er nicht gehetzt, sondern aufmerksam, seine gute Laune steckt an.

„Nächste Woche bin ich in Uganda, da bin ich im Mai dann nochmal. Davor noch im Kongo, Kamerun im November, Endes des Jahres Irak“, sagt er. An mindestens vier humanitären Hilfseinsätzen möchte Prof. Aung pro Jahr teilnehmen. Meistens mit dabei: Studierende der THD aus dem Bachelorstudiengang „Physician Assistant“ , den Aung leitet. „Es ist wichtig, dass die Studierenden begreifen, dass unser Gesundheitssystem nicht in Bayern endet. Auch nicht in Deutschland“, sagt er. Medizinischer Fortschritt, gesundheitliche Versorgung, das betreffe die ganze Welt.

Beim Zuhören wird schnell klar: Prof. Thiha Aung denkt in globalen Maßstäben. Kein Wunder mit Blick auf seine Biografie. „Dass ich Arzt geworden bin, hat familiäre Gründe.“ Aufgewachsen ist er in einem Dorf in Myanmar. „Medizinische Versorgung war dort sehr einfach oder gar nicht vorhanden“, erinnert er sich. Als sein Onkel an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt und stirbt, fühlt sich der junge Thiha Aung machtlos. „Es prägt, wenn man nichts hat“, erzählt er heute. Der Entschluss ist gefasst: Er möchte selbst aktiv die medizinische Versorgung vorantreiben und da mitanpacken, wo es dringend gebraucht wird.

 

 


 

Prof. Dr. Thiha Aung mit seinem Team

 


 

Die Brücke zwischen Maus und Mensch

 

Eher durch Zufall verschlägt es ihn für seine Ausbildung an das andere Ende der Welt. Verwandte in Göttingen nehmen ihn auf und er beginnt dort sein Medizinstudium. Darauf folgen die Promotion, die Facharztausbildung in der plastischen Chirurgie und die Habilitation in Regensburg, mit Zwischenstation an der Harvard Medical School.

„Ich habe meine Doktorarbeit in der Onkologie gemacht – wirklich knallharte Krebsforschung“, erzählt Dr. Aung. Trotz seiner Faszination für die Forschung kehrt er dem OP-Saal nicht den Rücken. „Mein Doktorvater hat gefragt, was er falsch gemacht hat, dass ich „Handwerker“ geworden bin“, erzählt er und lacht. Doch die Mischung aus Forschung und klinischem Handwerk wird Aungs Steckenpferd. „Die Kombination aus Ingenieurwesen mit der Medizin und die praktische Anwendung von Forschung macht mir einfach enorm Spaß.“

In einem Forschungsprojekt mit der Universität Regensburg führt er die Kerngedanken seiner Dissertation weiter. Im sogenannten „Cham-Essay“ entwickelt er die Idee von einer durchbluteten Membran, auf der menschliche Gewebeproben am Leben gehalten werden können. Eine Alternativmethode zu Tierversuchen – die Zwischenstufe zwischen Maus und Mensch. Auf der Membran können die Forschenden Tumore züchten und durch Untersuchungen der Probe individualisierte Therapiemöglichkeiten zusammenstellen. Forschungsschwerpunkt ist das Pankreaskarzinom. Von Myanmar bis Regensburg – mit dem Bauchspeicheldrüsenkrebs schließt sich der Kreis.

 

Im Wettlauf gegen die Zeit

 

Doch in den Laboren fällt Prof. Thiha Aung die Decke auf den Kopf. Er will hinaus in die Welt: „Als Student war ich als Übersetzer auf meinem ersten humanitären Einsatz in Myanmar.“ Seitdem ist Professor Aung immer auf Achse, von einem Einsatz zum nächsten. Zwar stehe die humanitäre Hilfe im Vordergrund, interessant sei die Arbeit aber auch, weil die Medizinerinnen und Mediziner dort Fälle zu Gesicht bekommen, die in der westlichen Welt nicht auftauchen.

„Am Tag kommen 60 bis 100 Patienten“, erzählt Dr. Aung. „Wir holen uns dann die Fälle raus, die besonders schlimm sind und die wir vor Ort auch behandeln können.“ Bis zu zwölf Stunden am Tag stehen der Chirurg und die zukünftigen Physician Assistents im OP, trotzdem kann er nicht alle Patientinnen und Patienten behandeln. „Am schlimmsten ist es, wenn man wieder fahren muss, in der Gewissheit, dass die Menschen sterben, wenn man sie nicht operiert“, sagt Dr. Thiha Aung. Die Patientenliste, die er bei seinem Einsatz im Kongo im November letzten Jahres führte, schrumpft von Tag zu Tag: Weil die Zeit knapp war, konnten drei Frauen nicht mehr ausreichend medizinisch behandelt werden. Wenn Dr. Thiha Aung im April in den Kongo zurückkehrt, ist es für sie bereits zu spät. Zwei davon sind heute tot, eine ist erblindet.

 

„Es ist schwer, dieses Gefühl in Worte zu fassen“, sagt Aung nachdenklich.
Zu wissen, dass er helfen könnte, aber die Zeit nicht ausreicht – „Das tut einfach nur weh.“

 

Nach so einem Einsatz sei man erschöpft, erzählt er. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Die Geschichten der Menschen lassen ihn nicht los. „Wenn im OP auf einmal der Strom ausfällt, der Anästhesist mit Hand das Pumpen zur Beatmung anfängt und man selbst als Chirurg plötzlich nichts mehr sieht, vergisst man das nie wieder.“

Die Fälle, die Dr. Thiha Aung und seine Studierenden bei den humanitären Einsätzen erleben, werden daheim an der THD wissenschaftlich nachbereitet. Aung möchte einen Mehrwert schaffen, der über die Versorgung der Patientinnen und Patienten hinaus geht. „Die Studierenden lernen, wie aus Pappe und Panzertape ein Gips gemacht wird“, auf der anderen Seite kommen auch Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland, um sich hier weiterzubilden.

 

 

Körper, Geist und Huhn

 

In manchen Ländern stößt er bei den Einheimischen erst einmal auf Skepsis. Zu sehr ist der Aberglaube an Flüche und Dämonen verbreitet, was den Kranken das Leben umso schwerer macht. „Ich bin von zwei Welten geprägt worden“, erzählt Prof. Aung. Aufgewachsen in einer traditionell buddhistischen Familie, ausgebildet in der westlichen Medizin. „Meine Familie sagt, du sollst an bestimmten Tagen nicht operieren, oder zu besonderen Uhrzeiten keine Chemotherapie machen“, erzählt er. Das Kontrastprogramm zur westlichen Medizin, wo sogar der erste Schnitt im OP minutiös getaktet ist. „Das ist spannend zu beobachten. Aber es gibt Zusammenhänge“, glaubt Prof. Aung.

Damit die eigene Balance zwischen Körper und Geist nicht aus dem Ruder läuft, füttert der Chirurg Hühner. „Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden“, da sei das Leben mit Tieren verinnerlicht. Bei der Frage, was Dr. Aung sich als Alternative zum Arztberuf vorstellen könnte, muss er deshalb auch nicht lange überlegen: Bauer oder Gärtner. „Es macht mir Spaß, morgens aufzustehen, die Tiere zu versorgen und ein Feld umzugraben“, sagt Thiha Aung. Eigentlich wollte er sich einen Bauernhof kaufen, aktuell hat er seine Hühner bei einer Kollegin untergebracht, die das Füttern übernimmt, wenn er unterwegs ist.

Vielleicht wird der Traum vom Bauernhof Wirklichkeit, wenn er sich einmal zur Ruhe setzt. Ob er sich aber vorstellen kann, irgendwann kürzer zu treten? „Oh Gott“, entfährt es ihm. Eines Tages müsse er wohl, bis dahin mache er weiter wie bisher. Ständig auf Achse, unterwegs in der ganzen Welt.

„Ich bin sieben Tage die Woche hier, manchmal zwölf Stunden im Büro.“ Weil seine Studenten wissen, dass er hin und wieder das Essen vergisst, bringen sie ihm Döner mit. „Eine großartige Sache“, kommentiert Prof. Aung.

Dabei wissen sie auch: Einen engagierteren Professor gibt es wohl kaum. Als Beamter des Staates sei es nicht nur wichtig, gute Lehre und Forschung zu machen, sondern auch Verantwortung für die zukünftige Generation zu übernehmen. „Wenn sie aus einer anderen Kultur kommen, prägt sich das noch mehr ein“, sagt er. Für die Physician Assistant-Studierenden strebt er Kooperationen in alle Himmelsrichtungen an: in Afrika und Asien, und mit den Universitäten Boston, Harvard, Yale, Cornell. Von Ivy-League-Universitäten bis in Gegenden der Welt, in denen es keinen Strom oder Wasser gibt.“

Ob bei humanitären Einsätzen, in der Forschung oder der Lehre – Dr. Thiha Aung überwindet Grenzen, damit anderen neue Welten offenstehen. Gestresst wirkt er dabei nicht: „Wenn man sich berufen fühlt, ist es nicht anstrengend.“

Oder um es in Arztmanier zu sagen: Die nächste Herausforderung, bitte!

 


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