Als Andreas Kassler die Tür zum Serverraum öffnet, weht ein Schwall warmer Luft heraus. Das Surren der Kühlerventilatoren liegt in der Luft. „Diesen Hardwaretyp gibt es sonst nur bei Firmen wie Google, Facebook oder Ericsson“, erklärt er mit Blick auf ein unscheinbares Gerät in einem zwei Meter hohen Serverschrank. Es ist ein Switch von großem Kaliber und das mitten in Deggendorf.
Im Rahmen der bayerischen Hightech Agenda wurde Prof. Dr. Andreas Kassler nach Deggendorf geholt. Zuletzt lehrte und forschte der Experte für Telekommunikationsnetzwerke an der Universität Karlstad in Schweden, nun ist er Spitzenprofessor an der THD – mit einem Budget von 3,5 Millionen und einer klaren Mission: das Netz der Zukunft soll in Bayern mitgestaltet werden. Dazu werden er und sein Team intensiv an intelligenten Netzen und Systemen forschen. Aber was macht ein Netz intelligent? Und in welche Richtung geht die digitale Reise?
Von digitalen Feldwegen zu Datenhighways
Die digitale Welt kann man mit einem Straßennetz vergleichen. Jedes Gebäude ist über Straßen mit dem Rest der Welt verbunden. Das kann ein kleiner Feldweg sein oder eine achtspurige Autobahn, sie alle bringen uns ans Ziel. Ganz so wie das Kommunikationsnetzwerk eine Anfrage von A nach B leitet und das möglichst schnell und ohne Umwege. Bleibt man bei der Analogie des Straßennetzes, sind die Apps und Webseiten, die wir als User täglich nutzen, die Orte, zu denen wir fahren. Das kann entweder der Weg zur Arbeit sein oder eine Urlaubsfahrt nach Italien an den Strand.
So bunt und vielfältig die digitale Welt ist, so kompliziert kann sie auch sein. Woher weiß das Netz wie die Daten an ihren Zielort kommen und welchen Weg sie nehmen müssen, um schnellstmöglich anzukommen? „So wie wir Netze im Moment kennen, ist alles unflexibel in Hardware realisiert – starr und statisch“, erklärt Kassler. „Wenn A passiert, dann folgt B“. Da kann es natürlich schnell zu einem Stau kommen und das nicht nur im übertragenen Sinne. Da die Welt immer digitalisierter wird, werden die Anforderungen an das Netz immer höher. Es braucht jemanden, der den Überblick hat. Einen Straßenbaumeister mit eingespieltem Team sozusagen. Jemanden wie Andreas Kassler mit seinem Labor für intelligente Netze und Systeme.
Das Herzstück des Labors: der Switch "von großem Kaliber" Prof. Dr. Andreas Kassler im Gespräch mit zwei Doktoranden
Die perfekte Verkehrsführung: Flexibilität gepaart mit Intelligenz
Unvorstellbar viele Daten werden pro Sekunde weltweit übertragen, seien es Instagram-Reels, E-Mails oder Twitch-Streams. Ein Benutzer am Smartphone merkt davon nichts, aber Unmengen an Datenpaketen werden in Mikrosekunden durch die Verkehrsknotenpunkte gejagt. Und spätestens jetzt sind wir zurück bei dem unscheinbaren Gerät in Kasslers Serverraum. Denn der Switch, wie es genannt wird, ist ein solcher Verkehrsknotenpunkt. Er ist für die Sammlung und Weiterleitung des Datenverkehrs verantwortlich. Funktioniert das nicht richtig, staut sich der Verkehr und im schlimmsten Fall steht alles. Damit das nicht passiert, braucht es sozusagen eine perfekte Verkehrsführung. In der Informatik nennt sich das Netzwerkoptimierung. Aber wie sieht die neue Verkehrsführung aus?
Für Andreas Kassler liegt der Schlüssel zum Erfolg bzw. zur perfekten Verkehrsführung darin, die Flexibilität von Software mit der Schnelligkeit von Hardware zu kombinieren. Dafür muss das Netz flexibel und intelligent sein. Gerade das war aber bisher eine Herausforderung in der Informatik. Mit seiner Forschung bringt Andreas Kassler beides zusammen. „Flexibel heißt nicht unbedingt gleich intelligent“, betont er. Flexibel heißt, dass das Netz programmierbar wird und Funktionen dynamisch aufgepasst werden können. „Das muss nicht unbedingt auf eine intelligente Art und Weise passieren“, hebt Kassler hervor. „Wenn wir beispielsweise einen Stau auf der Autobahn haben, dann weiß das Netz, dass es eine Umfahrung geben muss“. Manchmal ist aber durch den umgeleiteten Verkehr auch die Umfahrung dicht und dann wird es problematisch. Hier kommt die intelligente Komponente ins Spiel. „Intelligent heißt, wir arbeiten mit Algorithmen, die intelligent entscheiden, was passiert. Dafür nutzen wir KI-Vorhersagen zum Datenverkehr“, erklärt Andreas Kassler. Hier tauchen dann beispielsweise Fragen auf wie: Wie viel Verkehr kommt auf der Umfahrung zusammen? Wo kann dieser dann noch umgeleitet werden? Wo gibt es um diese Zeit immer viel Verkehr, auch ohne Umleitung? Durch die Kombination von Intelligenz und Flexibilität ist gewährleistet, dass das Netz besser optimiert werden kann und somit sich besser an unterschiedliche Szenarien anpassen kann. Es weiß also immer, was zu tun ist und wie der Datenverkehr fließen muss.
Dreh- und Angelpunkt bleibt der Switch, der in Kasslers Serverraum steht. Als Netzwerkknotenpunkt laufen bei ihm alle Strippen zusammen und der Switch verteilt die Anfragen dann weiter. Das Besondere am dynamischen Switch ist, dass er mit programmierbaren Netzwerkomponenten ausgestattet ist. Er wird also rekonfigurierbar, wie man in der Fachsprache sagt. Bisher war es so, dass man einen neuen Switch kaufen musste, wenn der Switch eine andere Aufgabe übernehmen sollte. Auch Netzwerkkarten waren bisher starr und unflexibel, also nicht programmierbar. Wenn also beispielsweise eine Fertigungsstraße darauf ausgelegt war, Autoreifen zu montieren, dann war das ganze Netzwerk, in dem der Switch integriert ist, nur darauf ausgelegt. Wenn nun aber statt Autoreifen dort Sitze eingebaut werden, muss sich auch der Ablauf der Fertigungsstraße ändern. Früher hieß das, dass die Produktion stillstand, alles neu verkabelt werden musste, vielleicht sogar ein neuer Switch gebraucht wurde. Das kostet natürlich Zeit und Geld. Mit einem Netzwerkknotenpunkt, der sowohl flexibel als auch intelligent ist, kann neue Funktionalität ins Netz eingespielt werden, ohne dass sich am Switch außen etwas ändert. Durch die Netzwerkkarten und die darauf gegebene Logik bzw. KI kann das Netz nun von innen neu konfiguriert werden und intelligent handeln. Die Autoreifen machen also den Autositzen nach nur kürzester Zeit Platz und die Produktion geht fließend weiter. Die Anwendungsfälle für diese intelligenten Netze sind schier endlos.
Kabel, Netzwerkkarten, Steckplätze: Im "Labor Intelligente Netze und Systeme" laufen alle Strippen für das Netz der Zukunft zusammen
Vom Verkehrspolizisten zur Ampelschaltung: die Zukunft des Datenverkehrs
Was genau ist nun aber das Geheimnis von Andreas Kassler und seinen intelligenten Netzen? „Wir verlagern Funktionen aus der Ebene der Infrastruktur eine Etage tiefer in die Ebene des Netzes“ fasst der Spitzenprofessor knapp zusammen. Anders gesagt: Wichtige Funktionalitäten, die bisher von Servern übernommen wurde, können nun von Netzwerkknotenpunkten viel schneller erledigt werden. Damit sind wir zurück beim „Switch von großem Kaliber“, der in Kasslers Serverraum steht.
Aus Kasslers Vorgehen ergeben sich dadurch weitere Pluspunkte, die für den Benutzer nicht sofort ersichtlich sind, aber trotzdem weitreichende Folgen haben. Bleiben wir beim Verkehr, so werden diese leicht verständlich. Was Andreas Kassler mit der Verlagerung von der Infrastruktur ins Netz macht, kann man sich so vorstellen, dass nicht mehr Verkehrspolizisten den Verkehr an Kreuzungen regeln, sondern die modernen Ampeln, die intelligent geschaltet sind. Diese sorgen dafür, dass der Verkehr immer bestmöglich durch die Stadt fließt. Die bisher benötigten Verkehrspolizisten können dadurch andere Aufgaben erledigen und dort eingesetzt werden, wo sie dringender gebraucht werden.
In der Welt von Andreas Kassler, der Welt der intelligenten Netze und Systeme, bedeutet das, dass bestimmte Aufgaben, die bisher von Servern übernommen worden sind, nun vom Switch durchgeführt werden können. Somit werden Server frei, es steht also wieder mehr Rechenkapazität zur Verfügung. Das heißt auch, dass nicht mehr benötigte Server abgeschaltet werden können und so Betriebskosten gespart werden können. Außerdem sinkt der CO2-Ausstoß dadurch, denn jeder abgeschaltete Server spart Strom. Server müssen auch gekühlt werden, da sie sonst heiß laufen. Auf den ersten Blick klingt das nicht so dramatisch, aber global betrachtet kommt eine Menge zusammen. Laut Studien verbrauchten alle Rechenzentren der Welt bereits 2012 das 30-Fache an Energie, die ein einzelnes Atomkraftwerk erzeugt. Dadurch, dass Andreas Kassler die Funktionen aus der Infrastruktur in die Netzebene, also in den Switch gibt, trägt er nicht nur zu schnellerem, stabilerem und effizienterem Internet bei, sondern senkt dadurch auch den Energieverbrauch und somit den CO2-Ausstoß. Weltweit gesehen könnte sein Vorgehen einen riesigen Einfluss haben. Eines steht jedoch fest: Was im Labor von Andreas Kassler passiert, ist die unabdingbare Basis für die Entwicklungen der Zukunft – ein intelligentes Straßennetz, das alle Orte optimal miteinander verbindet und in dem der Verkehr bestmöglichst fließt.
Wo geht die digitale Reise hin?
Noch hört man das Surren der Server in den Büroräumen. Immer mehr mischt sich jedoch die Geräuschkulisse der Forschenden darunter, die das Labor beziehen. Derzeit werden kluge Köpfe aus der ganzen Welt angeworben. Ein gutes Team zusammenzustellen ist allerdings herausfordernd. „Zum einen kann die Forschung nicht mit den großen Gehältern aus der Wirtschaft mithalten, zum anderen springen gerade viele auf den KI-Zug auf,“ sagt Andreas Kassler. Aber auch dafür hat der Spitzenprofessor eine Lösung. Er plant zwei Stellen für Industriedoktoranden im Bereich KI für 6G. Dafür hat er bereits Kontakte zu einem großen Telekommunikationsunternehmen geknüpft. Darüber hinaus plant er weitere Stellen über ein EU-Projekt im Bereich Edge Cloud und Echtzeit-Netze.
Derzeit arbeitet das Team schon eng mit der Industrie zusammen. Neben der Grundlagenforschung wird auch am 5G und 6G-Netz getestet, um herauszufinden, wie weit man hier gehen kann. Dazu haben die Forschenden beispielsweise einen mobilen Rucksack mit neuesten Messinstrumenten eines Industriepartners im Einsatz. Dieser ermöglicht es, Messungen vor Ort durchzuführen. Raus aus dem Labor und rein ins Forschungsvergnügen lautet die Devise. Das Herzstück bleibt der „Switch von großen Kaliber“, der über den Dächern des Degg´s vor sich hin surrt. Aber Kassler und sein Team möchten noch tiefer in die Forschung eintauchen. Dafür ist Verstärkung gefragt. Die internationale Forschungsgruppe erschließt immerhin ein komplett neues Feld in dem bisher nur wenige Forschende aktiv sind. Zu Andreas Kasslers Mission gehört es deshalb, die Netzforschung als Studieninhalt an der THD weiter auszubauen und Nachwuchstalente aus den Reihen der Studierenden zu gewinnen.
Erschließen ein komplett neues Feld und freuen sich auf Verstärkung im Team: Prof. Dr. Andreas Kassler mit Assistentin und zwei Doktoranden.