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Klima- und Hochwasserschutz beginnen im Wald

Eine bachelorarbeit übers Mulden graben

 

 

Dunkle Wolken ziehen über Grafling auf. Ein Starkregen lässt Wassermassen vom Steinberg auf das Dorf herabschwemmen.

Straßen und Keller werden überflutet, eine Spur der Verwüstung zieht sich durch den Ort.

So oder so ähnlich könnte der Ernstfall aussehen, den THD-Student Jeremias Grum in seiner Bachelorarbeit simuliert hat. Unter der Betreuung von Professor Wolfgang Rieger konnte der Bauingenieur in seinem Forschungsprojekt die Grundlage für zukünftige Regenrückhaltemaßnahmen der Gemeinde Grafling schaffen.

„Mithilfe von Aufzeichnungen des Deutschen Wetterdienstes konnte ich ein Niederschlagsereignis modellieren, welches statistisch nur alle 30 Jahre auftritt“, erklärt Jeremias Grum. Wassermassen, wie sie nur alle drei Jahrzehnte auftreten, könnten verheerende Schäden verursachen. Wie kann sich eine Kommune wie Grafling auf diesen Ernstfall vorbereiten? Ein Baustein der Lösung könnte im Wald liegen.

 

Hochwasserschutz

– ein Thema, das in Niederbayern nach dem Jahrhunderthochwasser 2013 eine ganz neue Gewichtung hat. Mit Flutpoldern an der Donau soll eine erneute großräumige Überschwemmung verhindert werden. Doch auch mit kleineren und kostengünstigeren Maßnahmen können Kommunen präventiv die Folgen von Hochwassern bekämpfen. Matthias Weichselgartner, Klimakoordinator am Landratsamt Deggendorf, und Professor Wolfgang Rieger sind sich einig: „Zukunftsweisender Hochwasserschutz betrifft nicht nur technische Maßnahmen, sondern auch Maßnahmen des dezentralen und natürlichen Wasserrückhalts an kleinen Bächen oder auch an Waldwegen“. Weichselgartner hat den Kontakt zur Gemeinde Grafling hergestellt. Mitten im Bayerischen Wald gelegen, ist die Gemeinde ein ideales Untersuchungsgebiet.

 


 

 

Zwischen dem Bayerischen Wald und der Donau: Geografische Lage der Gemeine Grafling

 


 

Denn den Wäldern wird eine Schlüsselrolle im Hochwasserschutz zuteil. Ein naturnaher Mischwald ist ein idealer Wasserspeicher. Wie bei einem Regenschirm fangen die Baumkronen einen Großteil des Regens ab, bevor er den Boden berührt. Durch das Wurzelgeflecht der Bäume kann das Wasser tief in den Boden sickern und einen Bodenwasserspeicher bilden. Experten gehen davon aus, dass in einen ungestörten Waldboden stündlich bis zu 80 Liter pro Quadratmeter versickern können.

Wohlgemerkt liegt die Betonung auf „ungestört“, denn Fahrzeuge und Forstmaschinen verdichten den Boden, sodass der Schwamm-Effekt gehemmt wird. Infolge muss mehr Wasser oberflächlich ablaufen. „Der Wald und seine Wege spielen für die Menschen im Landkreis Deggendorf eine wichtige Rolle. Waldwege können den Abfluss von Regenwasser allerdings beschleunigen, denn ihr Grabensystem leitet es ab und führt es den umliegenden Bächen zu“, erklärt Matthias Weichselgartner.

 

Oberflächenabfluss im Untersuchungsgebiet (Grafling). Aufgenommen im Rahmen der Begehung.

 

Das Wasser fehlt gerade in den Sommermonaten in den Wäldern und sorgt gleichzeitig für eine Überbelastung der Gräben – die Hochwassergefahr steigt. Hier setzt die Abschlussarbeit von Jeremias Grum an: „Um diesen Einfluss zu reduzieren und die Wege im Wald zu sichern, muss Regenwasser von den Wegen ferngehalten und in den Wäldern zurückgehalten werden“, erklärt er. Sein Ansatz: Den Oberflächenabfluss durch forstwegebauliche Maßnahmen gezielt zu verringern. „Dafür wurden zu Beginn Luftbilder, ein digitales Geländemodell und weitere Karten von Grafling in einem Geoinformationssystem analysiert und darauf aufbauend hydrologische Berechnungen durchgeführt.“ Wohin fließt das Wasser? Und vor allem: Wo soll es nicht hinfließen?
 


 

Drei Monate lang befasste sich Grum mit den Wasserverläufen und der Vegetation im Untersuchungsgebiet zwischen Grub und Rohrmünz. Sein pragmatischer aber effektiver Lösungsvorschlag: Mulden graben. „Statt einer Verschlechterung des Wasserhaushalts im Wald durch Wegseitengräben, die Wasser schnell aus dem Wald leiten, kann das Gegenteil mit Versickerungsmulden erreicht werden“, erklärt er. Anhand seiner Berechnungen konnte Jeremias Grum neun Orte ermitteln, an denen eine Mulde Sinn machen würde. Die Größe ist abhängig von der Menge an Wasser, die am betreffenden Knotenpunkt der Fließwege ankommt. Zwischen 200 und 500 Kubikmeter Aushub pro Mulde könnten einen 30-jährlichen Regen in signifikantem Ausmaß zurückhalten.

„Bestenfalls wird zudem oberhalb jedes Muldeneinlasses eine Querentwässerung des Forstwegs vom Entwässerungsgraben zur Mulde geschaffen“, sagt Grum. Diese Maßnahmen könnten im Zuge einer Forstwegsanierung umgesetzt werden. Weil Waldwege derart negative Auswirkungen auf den Wasserhaushalt des Waldes haben können, empfiehlt Grum einen bedachten Umgang mit dem Wegenetz. Es gilt: nur so viele Wege wie nötig und so viel Abstand dazwischen wie möglich.

Die kleinen Teiche, die nach Regen in den Mulden entstehen, erfüllen nicht nur Hochwasserschutz. Es ergeben sich weitere Vorteile: „Zum Beispiel ein zusätzliches Trinkwasserangebot für Tiere, die Stärkung des Wasserhaushalts im Wald und den Schutz der Wege“, sagt Jeremias Grum. Gerade in Zeiten des Klimawandels sei die Multifunktionalität des geplanten Muldensystems besonders wertvoll.

In der Gemeinde Grafling freut man sich, dass Forschung und Praxis Hand in Hand gehen. „Wir werden die Maßnahmen in naher Zukunft anpacken“, versichert Bürgermeister Anton Stettmer. Und auch die Zusammenarbeit mit Professor Rieger soll weitergeführt werden. Der frischgebackene Bauingenieur Jeremias Grum ist zufrieden: „Es war mir wichtig, dass meine Arbeit einen Einfluss auf das Gemeinwohl hat. Und gerade der Umweltschutz liegt mir sehr am Herzen.“ Umso schöner, dass seine Forschung den Sprung vom Papier in die Praxis geschafft hat – oder in diesem Fall in den Wald.

 


 

 

Prof. Wolfgang Rieger und Absolvent Jeremias Grum.

 

Ausgezeichnet mit Oberbürgermeister-Dieter-Görlitz-Preis

Am 12. Juli 2024 erhielt Jeremias Grum von der Stadt Deggendorf für seine Bachelorarbeit den Oberbürgermeister-Dieter-Görlitz-Preis verliehen. THD-Präsident Waldemar Berg wies in seiner Laudatio im alten Rathaus der Stadt daraufhin, dass ein Thema kaum wichtiger und relevanter sein könne als dieses. Lag doch ein erneutes, gewaltiges Hochwasser erst wenige Wochen zurück und hatte die Menschen entlang der Donau einmal mehr vor schier übermenschliche Anstrengungen und Zumutungen gestellt. „Der menschengemachte Klimawandel lässt uns allen nur wenig Zeit zum Durchatmen, wenig Zeit zum Handeln, wenig Zeit, um Maßnahmen einer sinnvollen Anpassung zu ergreifen“, so Berg. Die Bachelorarbeit von Jeremias Grum besitze aufgrund ihrer umfassenden Literaturrecherche sowie der präzisen Anwendung der Modellierungs- und Berechnungsansätze enorm hohe wissenschaftliche Qualität. Chapeau.


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