4.7.2017 |
Prognosekonferenz im TCG zeigt auf, wie Daten basierte Systeme helfen, Verschwendung zu vermeiden
Spannende Vorträge auf der Prognosekonferenz. − Foto: KERN
Grafenau. Zu einer Prognosekonferenz hatte das vom bayerischen Landwirtschaftsministerium um Minister Helmut Brunner initiierte Bündnis "Wir retten Lebensmittel!" gestern in den Technologiecampus Grafenau (TCG) eingeladen. Zentrales Thema war, durch Prognosen im Lebensmittelkonsum den hohen Verlust und die Verschwendung zu verringern. Analysierte und aufbereitete Daten bilden dafür die Grundlage.
Big Data ist ein Schwerpunkt am TCG. "Grafenau hat damit ein Thema gefunden, das eine unglaubliche Zukunft hat", sagte Hochschulpräsident Prof. Dr. Peter Sperber einleitend. Staatsminister Brunner schickte eine Videobotschaft. Dr. Malte Rubach vom Landwirtschaftsministerium stellte vor Ort 17 Maßnahmen des Bündnisses "Wir retten Lebensmittel!" vor, die umgesetzt werden – vom "Lebensmittelretter-Führerschein" in Schulen bis zum Warenwirtschaftssystem für den Privathaushalt. "Der Endverbraucher hat mit 60 Prozent den höchsten Anteil beim Wegwerfen. Deshalb müssen wir dort ansetzen."
In Bayern sind das pro Kopf und Jahr 62 Kilo Lebensmittel. Durch die Optimierung von Prognosen und Disposition lässt sich diese Menge reduzieren. Wie dies funktionieren kann, zeigte TCG-Leiterin Prof. Dr. Diane Ahrens mit der Entwicklung einer Dispo-App auf. Aus dem Einsatz des Prototyps in fünf Filialen eines Discounters konnten wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden.
"Wir wünschen uns volle Regale, Produktvielfalt und hohe Qualität. Der Handel ist mit seiner Versorgungslogistik effizient aufgestellt, aber die Bestellmenge wird meist dem Personal überlassen und das entscheidet oft aus dem Bauch heraus und vertraut seiner Erfahrung", schilderte Ahrens die Ausgangssituation.
Doch nicht immer werde die Kundennachfrage richtig eingeschätzt, denn die Warenvielfalt steige ständig und Einflussfaktoren auf Verkäufe wie Wetter, Ferien, Angebote, Konkurrenzaktionen seien zahlreich. Mit dieser Komplexität könnten Menschen weniger gut umgehen. Hier komme die künstliche Intelligenz zum Einsatz, die diese Faktoren berücksichtige und daraus eine Prognose ableite.
"Wir haben die Dispo-App als Entscheidungsunterstützungssystem entwickelt und im wochenlangen Testeinsatz gesehen, dass das System lernen kann. Es kommt mit Feiertagen und Sortimentsänderungen zurecht. Es schafft eine Umsatzsteigerung und verringert die Verschwendung von Lebensmitteln. Allerdings stößt es an seine Grenzen bei Qualitätsschwankungen, großen Gebindegrößen, bei Produkten mit kurzer Haltbarkeit und bei sehr kleinen, täglichen Abverkaufsmengen", berichtete die Professorin.
Sie machte aber auch klar: "Es ist immer wieder der Mensch, der glaubt, es besser zu können. Aber der richtige Erfolg kommt erst durch ein vollautomatisches System. Das ist der Weg, den wir gehen müssen." Den "Unsicherheitsfaktor Gast" bei der Außer-Haus-Verpflegung in einer Betriebsgastronomie nahm Bernhard Bauer vom TCG bei seinem Vortrag unter die Lupe.
Angenommen wurde eine Kantine, bei der sich 600 bis 1000 Personen von Montag bis Freitag verpflegen können, drei bis fünf Hauptgerichte täglich zur Wahl stehen, ein bestimmtes Budget eingehalten werden muss und nichts aufgewärmt werden darf. "Das erfordert vom Küchenleiter eine gute Kalkulation. Ist zu wenig da, muss er unter Stress nachproduzieren oder vergrault vielleicht Kunden, die ihr Lieblingsessen nicht mehr bekommen, hat er zu viel gekocht, muss er Lebensmittel wegwerfen und verliert dadurch Geld", so Bauer.
Um eine möglichst genaue Prognose abgeben zu können, muss er also wissen: Wie viele kommen? Wer nimmt eines der Hauptgerichte? Wie verkauft sich welches Gericht? In welchem Verhältnis stehen Hauptgerichte wie Schnitzel und Tofu oder Schnitzel und Currywurst?
Das Projekt "EnKü – Energieeffiziente Küche" beschäftigt sich u.a. mit diesen Fragen aus datenanalytischer Sicht. Dabei wird aufgezeigt, welche Einflussfaktoren für die Anzahl der Kantinenbesucher und ihre Essensauswahl eine Rolle spielen und wie mit Hilfe historischer Daten diese Zahlen vorhergesagt werden. "Der Gast ist der einzige und größte Unsicherheitsfaktor, aber er ist auch ein Gewohnheitstier. Er hat ein Lieblingsgericht und entscheidet sich meist fürs Gleiche. Deshalb lässt sich gut prognostizieren, wie viele kommen und welche Hauptspeisen sie essen werden. Schwierig wird es, wenn ein Gericht neu auf dem Speiseplan steht und es deshalb noch keine Erfahrungswerte dazu gibt", verdeutlichte Bauer.
Schon seit 17 Jahren beschäftigt sich das Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen tegut mit Prognosen und deren Anwendung im Dispositionsprozess der 280 Filialen in Hessen, Thüringen und Nordbayern und der Zentrale in Fulda. Ralf Petrausch stellte die Wirkungsweise seiner vollautomatisierten "Glaskugel" vor. "Der Kunde bestimmt die Logistik", ist der Ausgangspunkt. Das System berechnet in den Filialen Prognosen für den Abverkauf und erzeugt automatisiert Bestellvorschläge für fast alle Sortimentsbereiche. Diese Filialprognosen sind die Grundlage für die Disposition der Zentrale beim Lieferanten und finden Berücksichtigung in der Mitarbeiter- und Transporterplanung, in der Planung des Warengeschäfts in Feiertagswochen u.v.m.
"Wir haben einen Automatisierungsgrad von 98,9 Prozent und 17000 Artikel werden disponiert", so Petrausch. Aber auch ein Automat stößt manchmal an seine Grenzen. Er kann nicht mit Wetterkapriolen umgehen. Und so war es mal passiert, dass zwei Wochen trotz Kälte kein Glühwein in den Regalen stand. "Da musste der Mensch eingreifen, sonst hätten wir jede Menge Kunden verloren", erzählte Petrausch.
In weiteren Vorträgen ging es um Prognosen und ihre Anwendungen im Betrieb, um Produktionsoptimierung durch Datenanalyse in Echtzeit, vorausschauende Kapazitäts- und Einsatzplanung in der Intralogistik und um Superforecasting. -ul
07.11.2017 | PNP – Regionalausgabe Freyung/Grafenau und Regen