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Robo-ct

Von Leberkässemmeln, versteinerten Schlangen zu 7er BMWs - alles möglich im Robo-CT

„Schon in der Grundschule hat man mir gesagt, dass ich einmal verwirrter Mathematikprofessor werde und dann bin ich es irgendwann auch geworden“. So umreißt Professor Dr.-Ing. Gabriel Herl vom Technologie Campus Plattling (TCP) in kurzen Worten seinen Werdegang. Während er von sich und seinem Forschungsbereich der industriellen Computertomographie, kurz CT, berichtet, wirkt er jedoch alles andere als der klischeehaft zerstreute Professor und scheint ganz in seinem Element. Ein Praktikum während seines Studiums der Technomathematik führte ihn per Zufall zur Computertomographie.

Bei den meisten Menschen wird die Abkürzung CT wahrscheinlich eine Assoziation mit der Medizin hervorrufen. So wahrscheinlich auch bei dir. Wenn du dir einen Arm brichst, führt der erste Weg höchstwahrscheinlich zum Arzt oder Krankenhaus und dort wird der Knochen mithilfe von Röntgenstrahlen untersucht. Dabei würde keiner auf die Idee kommen den Arm aufzuschneiden, um den Knochen zu untersuchen. Damit auch in Wissenschaft und Industrie keine Objekte mehr zerstört werden müssen, um die innere Beschaffenheit sichtbar zu machen, werden ebenfalls Verfahren der Röntgen-Computertomographie eingesetzt. Der Anwendungsbereich der CT ist dabei unglaublich vielfältig und uneingeschränkt nutzbar. Dazu später mehr.

Während Prof. Herls Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Promotion in diesem Bereich an der THD gelangte er immer mehr in eine Verantwortungsposition seiner Forschungsgruppe gegenüber, die ihm eine anschließende Stelle als Nachwuchsprofessor bescherte. Er selbst sagt, das sei pures Glück gewesen, er sei genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Doch was genau ist eigentlich Computertomographie? Wie funktioniert sie?  

 

Röntgen-CT am Beispiel einer Leberkässemmel

 

Um den Unterschied zwischen normalem Röntgen und einer Röntgen-CT besser zu verdeutlichen, zeigt Prof. Herl spontan Bilder von einer typisch bayerischen Spezialität, einer Leberkässemmel. Dazu erklärt er: Wird die Semmel nur geröntgt, wird durch die Röntgenstrahlung ein Schattenwurf der Semmel erzeugt, der ein 2D-Bild produziert. Die Semmel kann so anhand einzelner Schnitte untersucht werden. Wird die Semmel jedoch während des Röntgens gedreht entstehen mehrere Röntgenbilder aus verschiedenen Winkeln, die Projektionen genannt werden. Werden diese mithilfe von Mathematik in ein 3D-Volumen überführt, so spricht man von Röntgen-CT. Hierbei kann jeder Punkt an der Leberkässemmel genauestens begutachtet werden, so dass deutlich hervortritt, wo sich Semmel oder Leberkäs befindet und an welchen Stellen diese zum Beispiel Luftlöcher aufweisen.


 

                                                                     

2D vs. 3D: 2D-Röntgenprojektion einer Leberkäsesemmel aus der THD-Cafeteria (leider ohne Senf) |

 Vertikaler Schnitt durch ein 3D-CT-Volumen der Leberkässemmel


 

Dass es sich hierbei nur um ein spielerisches Anschauungsobjekt handelt, wird schnell klar, als Prof. Herl von den Gegenständen erzählt, die sich sonst in der CT in Plattling befinden. Neben Batterien, Teilen von Windrädern oder Gebäuden und vielem mehr werden auch (Elektro-)Autos untersucht. Nicht umsonst ist das CT-System auf die Größe eines 7er BMW ausgelegt.

 

 

Seltene Hightech-Technologie am TC Plattling: Die Roboter-CT

 

Betritt man das Labor des TCP, um zum CT-System zu gelangen, so führt der erste Weg vorbei an modifizierten Rutschfahrzeugen für Kinder oder Baggern, die mit Elektromotor ausgestattet wurden und zum Bereich Moderne Mobilität gehören. Rechterhand steht die zwar sehr große, aber aufgrund der grauen Wand eher unscheinbare Strahlenschutzkabine der CT. Ist die Kabine offen, so kann man einen Blick auf das Innenleben erhaschen. Dabei stechen vor allem die riesigen, knallorangen Roboterarme ins Auge. Diese kreative und spielerisch anmutende Atmosphäre am TCP kreiert damit einen starken Kontrast zum bekannten sterilen und mit Anspannung assoziierten CT beim Arzt.

Die Untersuchung von großen und oftmals auch sperrigen Gegenständen ist am TCP vor allem deshalb möglich, da es sich hier um eine besonderen Roboter-CT handelt. „Wir sind die erste Hochschule, die weltweit daran forscht“, erzählt Prof. Herl stolz. Dadurch musste vor allem anfangs viel Zeit und Entwicklungsarbeit in das CT-System gesteckt werden, damit Hardware und Software optimal zusammenspielen und für die hiesigen Zwecke optimal nutzbar werden. „Stark sind wir vor allem bei der automatischen Blickwinkelbestimmung und den Verfahren, um präzise zu sein“, erklärt Prof. Herl weiter. Selbst wenn die Roboter wackeln, können anhand des eigens an der THD entwickelten Verfahrens scharfe, verlässliche und präzise 3D-Bilder erzeugt werden.

Doch wie funktioniert die Robo-CT nun genau? Bei einer normalen CT bewegen sich die beiden für die Röntgenaufnahmen essenziellen Bestandteile, Strahlenquelle und Strahlendetektor, in einem feststehenden horizontalen Kreis um den benötigten Bereich. Möchte man beispielsweise einen Autoscheinwerfer scannen, so muss die Scan-Bahn jedoch flexibler sein. Daher sind Quelle und Detektor im Robo-CT beweglich an die beiden Roboter montiert, wobei sich diese zusätzlich in Linearachsen vor und zurück bewegen können. Zu dick darf das Material allerdings nicht sein. Prof. Herl vergleicht das mit dem Blick durch Stoff. Ist es dünne, leichte Baumwolle, so kann man gut durchsehen. Ist es jedoch dicker Cord, so ist ein Durchblick fast unmöglich. Je nach Material sind unterschiedliche Stärken möglich. Stahl ist hierbei besonders problematisch, da dieser sehr dicht ist und ein Großteil der Photonen, also die messbaren Lichtteilchen, von dem Metall absorbiert werden und kein Signal mehr beim Detektor ankommt. Leichtere Materialien wie bestimmte Kunststoffe können hingegen bis zu einem Meter Dicke gescannt werden. Das Scan-Objekt wird für maximale Flexibilität auf einen Drehteller gelegt. Ein Lasertracker hilft die Positionen von Quelle und Detektor stets genau zu bestimmen, während ein Laserscanner notwendig ist, um die Form des Objekts nachzuvollziehen. Schließlich sollten Roboter und Objekt stets unbeschadet bleiben.


 

Roboter-CT-System der THD am TC Plattling beim Scan eines Fahrrads


 

Natürlich kommt heutzutage auch bei diesen Prozessen KI zum Einsatz. Prof. Herl sieht jedoch die Kunst darin, KI dort einzusetzen, wo sie sinnvoll ist und nicht gefährlich werden kann. Wenn es um hohe Präzision geht, zum Beispiel bei Messung der Genauigkeit der Roboter, verlässt er sich lieber auf die eigenen Berechnungen, da die KI hier zu unverlässlich agiert. „Man kann überall in Bausteinen KI einbringen“ ist seine Devise. Komplett auf die KI verlassen können und wollen sie sich jedoch nicht.


 

Zusammengefügte 2D-Röntgenprojektion eines Fahrrads, aufgenommen durch viele einzelne Röntgenprojektionen mit dem Roboter-CT der THD


 

Sicherheit und Nachhaltigkeit durch CT

 

Prof. Herl stellt sich bei jedem Scan die Frage, was genau er scannen möchte. Während ein normales CT-System alles scannt, was sich im Kreisbereich zwischen Quelle und Detektor befindet, möchte Prof. Herl mit seiner Robo-CT an die Stellen des Objekts, wie beispielsweise einen konkreten Autoscheinwerfer gehen, um die Daten aufzunehmen, die benötigt werden. Sein Motto hierfür lautet: Relevant Data anstelle von Big Data. Er stellt daher jeweils zwei konkrete Anforderungen an das System: Sicherheit und Nachhaltigkeit. „Wenn wir qualitativ sicher auf der einen Seite und nachhaltig auf der anderen Seite sein wollen, dann müssen wir zerstörungsfrei prüfen“.

Künftige Anwendungsfelder für den CT gäbe es dazu zahlreiche. In Deutschland existieren beispielsweise momentan sehr viele alte Brücken. Ein Abriss und Neubau wäre eine enorme CO2 Verschwendung. Mithilfe der Robo-CT könnte man zuerst prüfen, ob Bestandteile der Brücke, wie beispielsweise die Pfeiler, im Inneren noch intakt sind und ob eine teilweise Sanierung ausreichen würde. Auch entstehen aktuell immer mehr Windkraftanlagen, um die nachhaltige Energieversorgung in Deutschland aufrechterhalten zu können. Auch deren Bestandteile, wie die Rotorblätter, müssen stets gewartet werden. Zudem liegt ein Augenmerk auf dem nachhaltigen Bau. Da hierbei meist mit Holz gearbeitet wird, muss auch dort stets eine Kontrolle der inneren Beschaffenheit möglich sein. Mit der Zeit können Flüssigkeit oder Witterung das Material instabil werden lassen. Eine Überprüfung mithilfe von Robo-CT könnte allerdings Zeit, Geld und CO2 Ausstoß sparen.

 

Wichtige Weiterentwicklung am TC Plattling: Mobiler CT

 

Doch wie sollen solch große Gegenstände, welche zudem meist feststehend oder schwer zu transportieren sind in einem CT gescannt werden, der in einem Labor steht? Hierfür hat die Forschungsgruppe um Prof. Herl Verfahren entwickelt, um ein besonderes und neuartiges CT-System besser und genauer machen zu können: den mobilen Robo-CT. Aus Projekten wie dem kürzlich abgeschlossenen Smart CT haben sie gelernt, dass es mittlerweile für die Forschergruppe möglich wäre, das an der THD bestehende System mobil und flexibel zu gestalten. Dabei handelt es sich um eine bahnbrechende Erkenntnis, da somit neue Möglichkeiten für das Robo-CT-System geschaffen würden. Mit dem von ihnen entwickelten Verfahren, welches trotz ungenauer und instabiler Roboter einen präzisen CT-Scan ermöglich, wäre es nun theoretisch und praktisch möglich, das System am TCP mit einem Fahrzeug zu transportieren und Scans überall durchzuführen. „Wir haben jetzt ein Gerät und eigentlich wäre es Verschwendung, wenn es nur im Labor steht“ sagt Prof. Herl. Schließlich profitieren Mensch und Umwelt davon.

 

Projekte und Forschung für Unternehmen

 

Momentan arbeiten Prof. Herl, sein Kollege Prof. Dr. Simon Zabler und ihr Team an fünf weiteren Projekten, um mithilfe von Robo-CT Lösungen für aktuelle Probleme zu finden oder die Robo-CT in weiteren Bereichen zu optimieren. Diese werden meist in enger Kooperation mit Unternehmen durchgeführt. Auch wenden sich oft Unternehmen aus ganz Deutschland, zum Beispiel im Bereich Elektrotechnik, Luftfahrt oder Gießerei, an Prof. Herl und das Team, um einen Scan von einem Produkt zu erhalten. Im Vergleich zu Dienstleistungsfirmen im Bereich CT bietet das Team am TC Plattling jedoch innovative Dienstleistungen, da mithilfe der Verbindung mit der Forschung mehr Möglichkeiten bestehen. Sie liefern also keinen Standard, sondern weiterführende Lösungsansätze mit mehr Präzision und Messsicherheit. Für Prof. Herl ist dieses „mathematisch clever rätsellösen können“ dabei das Spannendste an seinem vielschichtigen Forschungsfeld.

Je nach Anforderungen und Forschungsaufwand können die Kosten für einen CT dabei variieren. Die CT eines einfachen Objekts ohne weitere Auswertungen würde zwischen zwei und dreihundert Euro kosten, während eine CT mit viel Forschungsaufwand auch in den Tausenderbereich gehen kann. Neben Objekten für Unternehmen lassen öfter auch Archäologen einen Scan von ihren Fundstücken anfertigen. Das wohl Verrückteste, was sie bisher in ihrem Scan hatten, war eine versteinerte Schlange, deren Mageninhalt und Zahnstruktur untersucht werden sollte.

 

Die CT auf Wachstumskurs

 

In der Computertomographie sieht Prof. Herl einen absoluten Wachstumsmarkt. Deutschland erachtet er auf diesem Gebiet momentan noch als führend, da die deutschen Tugenden von Qualität und Sicherheit im Bereich der CT weltweit geschätzt werden. Natürlich schläft auch die Konkurrenz nicht, daher würde sich Prof. Herl wünschen, dass Deutschland sich in diesem Bereich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt und auch in Zukunft einen der vordersten Plätze auf dem Weltmarkt belegt.

Am meisten Spaß macht ihm die Arbeit mit jungen Forschenden und auch der Austausch und die weltweite Vernetzung mit anderen Expertinnen und Experten. In naher Zukunft möchte Prof. Herl versuchen durch die Kombination mit anderen Bereichen noch mehr aus der Robo-CT herauszuholen. Er fände dabei schön, wenn die Roboter nicht wie bisher nur mit Röntgenstrahlen genutzt würden, sondern wenn man auch andere Sensoren wie beispielsweise Terahertz- oder Infrarotstrahlung im CT kombinieren könnte. Denken wir dazu noch einmal an die zuvor angesprochenen vielen sanierungsbedürftigen Brücken in Deutschland zurück. Hierbei wird schon mit Ultraschall und Radar gearbeitet, die sich womöglich auch mit der Robo-CT verknüpfen lassen würden, um umfassendere Erkenntnisse zu erlangen. Robo-Computertomographie ist ein spannendes, vielfältiges und zukunftsfähiges Forschungsgebiet, das uns als Hilfe dient, die aktuellen Anforderungen unserer Zeit anzugehen und ressourcenschonender zu arbeiten.

Wie immer heißt also auch hier das klare Motto: Nicht auf die Äußeren, sondern auf die inneren Werte kommt es an!

 

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